Süchtig nach Wertschätzung

Pflege hat ein massives Suchtproblem. Sie ist abhängig von externer Wertschätzung.

Die Gesellschaft versucht diese Sucht auf verschiedenste Arten zu befriedigen. Es wird auf Balkonen geklatscht, in Zeitungen wohlwollend berichtet und in unzähligen Talk-Runden gelobt und bewundert, was das Zeug hält.

Co-Abhängig?

Aber warum tut die Gesellschaft das? Handelt es sich hierbei um eine tragische Co-Abhängigkeit oder was ist die eigentliche Motivation, für dieses unentwegte Wohlwollen?

Kaum ein anderer Beruf erhält so viel Zuwendung und Anerkennung wie die Pflege. Kein anderer Beruf fühlt sich aber auch so wenig wertgeschätzt. Keine andere Berufsgruppe scheint so abhängig zu sein, von der Meinung des Restes der Gesellschaft.

Warten auf den Ritter mit dem weißen Pferd

Ganz im Gegenteil, anderen Berufsgruppen scheint diese Meinung im Vergleich zu den eigenen Wünschen und Zielen zumindest zweitrangig zu sein. Diese verteilen einfach keine Post oder legen den Flug- oder Bahnverkehr lahm, wenn sie ihre Ziele und Wünsche nicht berücksichtigt sehen. Die Pflege legt sich im schlimmsten Fall an ihrem freien Wochenende vors Rathaus. Das ist dann wieder eine großartige Gelegenheit für alle übrigen Passanten aus Politik, Presse und allen anderen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten, den Wert und die fundamentale Bedeutung der Pflege hervorzuheben und ausdrücklich zu betonen, wie wichtig diese Aufgabe doch für uns alle ist. Die einen haben ihre Wertschätzung, die anderen ihren wohlwollenden und publikumswirksamen Einsatz und alles ist wieder gut. Eigentlich eine Win-Win Situation, wenn dabei nicht das Gesundheitssystem und letztendlich auch die Pflege auf der Strecke bleiben würden.

Brauch wir nicht dringend eine selbstbewusste Pflege?

Ist der Rest der Gesellschaft tatsächlich in einer Co-Abhängigkeit gefangen oder hält sie nicht vielmehr die Pflege in ihrer Abhängigkeit gefangen und gefügig? Wollten bzw. wollen wir überhaupt eine starke und selbstbewusste Pflege, die ihre Macht und Chancen erkennt und auch nutzt?

Können wir es uns als Gesellschaft tatsächlich leisten, die Pflege weiterhin in dieser Abhängigkeit zu halten oder brauchen wir nicht dringender als je zuvor eine starke und selbstbewusste Pflege, wenn wir die zahlreichen Aufgaben unseres Gesundheits- und Pflegesystems zukünftig lösen wollen.

© Dr. Hans-Jürgen Wilhelm 10_24
Kontakt und weitere Infos: www.drwilhelm.org

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